Cary D. Lowe gibt Auskunft : I am from Braunau

    Von Hannes Hintermeier

Er stand Rede und Antwort: Cary D. Lowe, ein amerikanischer Jude, der in Hitlers Geburtsstadt aufwuchs, stellt sich den Fragen von Freiwilligen des Österreichischen Auslandsdienstes.

Geboren wurde Cary D. Lowe 1948 im Linzer Krankenhaus, aufgewachsen ist er in Braunau am Inn. Seine Eltern waren dienstlich dort. Beide waren jüdischer Abstammung und hatten den Holocaust überlebt, die Mutter Valerie stammte aus der Slowakei, Vater Ernest aus Böhmen. Ernest Lowe war Analyst beim Counter Intelligence Corps (CIC), dem Nachrichtendienst der US Army. Nachdem er die Nürnberger Prozesse beobachtet hatte, wurde er nach Braunau geschickt. Auftrag: untergetauchte Kriegsverbrecher identifizieren, Aktivitäten der Sowjets ausforschen, zu deren Besatzungszone der Teil Oberösterreichs gehörte, der unweit Braunaus nördlich der Donau liegt. Auch Mitarbeiter für den CIC sollte Lowe rekrutieren.

Hannes Hintermeier

Feuilleton-Korrespondent für Bayern und Österreich.

So erzählte es sein Sohn Cary, der sich am Mittwoch den Fragen von Freiwilligen des Österreichischen Auslandsdienstes stellte. Hierbei handelt es sich nicht um einen Geheimdienst, sondern um einen Freiwilligen- und Zivilersatzdienst, gegründet 1998 von Andreas MaislingerMichael Prochazka und Andreas Hörtnagl. Motto: memoria, misericordia, pax. Die Freiwilligen arbeiten für Holocaustgedenkstätten, -museen und -forschungseinrichtungen in sechsundvierzig Ländern. Voriges Jahr machten sich 110 junge Menschen für sechs bis zwölf Monate auf den Weg, offiziell verabschiedet vom Bundespräsidenten. Sie hatten nun Gelegenheit, mit Lowe einen amerikanischen Juden zu befragen, der sich als Braunauer vorstellt.

Sieben Jahre lebten die Lowes in der Innstadt, die als Geburtsort Adolf Hitlers im Dauerzustand eines nicht tilgbaren Misskredits lebt. 1955 zog die Familie nach Wiesbaden weiter, in den frühen Sechzigern ging es zurück in die Vereinigten Staaten. Lowe wurde erst Jahre später amerikanischer Staatsbürger. Was er dort aus seinem Leben gemacht hat – erfolgreicher Anwalt, Hochschulprofessor, politischer Aktivist –, beschreibt er in seinen voriges Jahr erschienenen Memoiren „Becoming American“ (Black Rose Press).

Einheimische hätten versucht nicht hinzusehen

Heute lebt Lowe in San Diego und erinnert sich lebhaft an das zerbombte Wien und an das Braunau seiner Kindheit. Vor dem Geburtshaus Hitlers hätten seinerzeit viele Einheimische die Straßenseite gewechselt, versucht, nicht hinzusehen. Als Kind habe er natürlich nicht begriffen, warum, nur „dass eine sehr schlimme Person“ dort gewohnt habe, wurde erzählt.

Die aktuelle Entscheidung, das Hitler-Geburtshaus in eine Polizeistation zu verwandeln – so verkündet 2019 vom damaligen Innenminister Wolfgang Peschorn –, missfällt Lowe. Er hat auch schon dem Stadtmarketing geschrieben, das sich gemeinsam mit der bayerischen Nachbarstadt Simbach müht, das obendrein durch den Namen beförderte braune Image abzustreifen. Auch wenn Lowe auf Nachfrage einräumt, seine Eltern hätten natürlich Umgang mit dem damaligen Polizeichef gehabt, und sein Kindermädchen habe sogar dessen Sohn geehelicht.

Wie seine Eltern damit umgegangen seien, es überwiegend mit ehemaligen Nationalsozialisten zu tun zu haben, fragte ihn eine junge Niederösterreicherin. Lowe entgegnete: Es sei bemerkenswert, was Menschen alles verdrängen könnten. Man habe es nicht so genau wissen wollen, ob einer Aufseher in einem Konzentrationslager gewesen sei: „Einen Groll gegen jemanden zu hegen ist, wie Gift zu trinken in der Hoffnung, dein Feind stirbt.“

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Die scheinbar entlegenste Frage der einstündigen Fragerunde traf ins Zentrum der Problematik. Es gebe doch mit Arnold Schwarzenegger einen sehr prominenten Österreicher, der es in Amerika geschafft habe, befand ein Wiener Freiwilliger. In der Tat wuchs der 1947 geborene Schwarzenegger in der britisch besetzten Steiermark auf, bevor er im Alter von einundzwanzig Jahren in die Vereinigten Staaten auswanderte und eine Karriere als Bodybuilder, Schauspieler und Politiker hinlegte. Die University of Southern California richtete 2012 gar das USC Schwarzenegger Institute for State and Global Policy für internationale Führungskräfte ein.

Ob er Parallelen zu seiner eigenen Biographie sehe? Lowe verneinte. Und fügte aber nach kurzem Zögern an, er habe Schwarzenegger einmal getroffen. Der habe ihn gefragt, wo er herkomme. Auf seine Antwort, er stamme aus Braunau, habe der „Terminator“ mit schwer zu deutender Ausdruckslosigkeit nur gesagt: „Never heard of it.“

Quelle: F.A.Z.